harmonisches Hören

Das harmonische Hören


Das menschliche Ohr (synonym für den Hörapparat im Ganzen) hat ein extrem feines Unterscheidungsvermögen für fast gleiche Frequenzen.

Experimente mit Sinustönen zeigen, dass wir nur diesen einen Aspekt von gleichzeitig erklingenden Tönen genau erfassen können. Das Unterscheidungsvermögen für Intervalle von Sinustönen ist unscharf und lässt sich leicht verunsichern. (nachdem sie eine Zeitlang nur Sinus-mikro-intervalle gehört haben, scheint eine Sekunde riesig...)


Bei der Zerlegung eines Tones in seine Sinuskomponenten stellt man fest, dass die meisten periodischen Schwingungen ein bestimmtes Muster aufweisen: Man nennt das historisch bedingt Obertonreihe.


Da hab ich einen Grundton von z.B. 100Hz

Der erste Oberton hat dann 200Hz

Der zweite 300Hz, der dritte 400 und so weiter.


Da man damit schlecht rechnen kann, spricht man heute von Partial-tönen oder deutsch Teiltönen.

100Hz sind immer noch der Grundton, aber gleichzeitig der erste Teilton

200Hz der 2te, 300Hz der dritte und 7600Hz der 76te.


Zwei Töne im Abstand einer Oktav haben sehr viele Teiltöne gemeinsam.

Stellen wir uns vor, wir wären Blauwale - dann sind die Zahlen übersichtlicher:


der untere Ton hat 1,2,3,4,5,6,7,8,9,10... Hz

der obere Ton hat 2,4,6,8,10,12... Hz

der obere Ton ist komplett im Spektrum des unteren enthalten


Das kommt einem Einklang am nächsten

wenn der obere Ton 3,6,9,12,15... Hz hat, ist er immer noch komplett im Spektrum des unteren enthalten

mit dem zweiten Ton hat er 6, 12, 18 etc. gemeinsam


Hier haben wir das erste "richtige" Intervall im Verhältnis zweier Töne aus der Obertonreihe:

Der Verhältnis des Tones 3 zu Ton 2 - kurz geschrieben 3/2, auch genannt die Quint

3/2 ist eine Quint aufwärts, 2/3 eine solche abwärts.


Man kann anhand der Notendarstellung oben nachvollziehen wie einfach und logisch die rationale Bezeichnung (mathematisch rationale Zahlen oder Brüche geben das Verhältnis zweier ganzer Zahlen an)

der Intervalle aus der Obertonreihe oder richtiger Teiltonreihe folgt; die Quint ist hier das Frequenzverhältnis des g zum c; die große Terz wäre z.B. E' zu C', also 5/4; die komplementäre Sexte wäre C'' zu E', also 8/5.

Grundsätzlich stellt jede mögliche Tonkombination in dem Bild oben ein Naturintervall dar; die Frequenzen entsprechen aber nur in teils guter, teils schlechter Näherung den Tönen des Klavieres und lassen sich auf dem Pulsachord auch nur mittels der Intonationskorrektur durch das Ziehen der Saiten wirklich exakt darstellen.


Handelt es sich dabei um feste Frequenzen im perfekten Verhältnis, verschmelzen sie zu einem Ton hellerer Klangfarbe; bei den Orgelbauern ist das ein wichtiges Thema, aber Saitenklänge verschmelzen nie ganz.


Die Darstellung oben ließe sich auch über den 16ten Teilton hinaus fortsetzen; ich kann nach diesem System unendlich viele Intervalle erzeugen, aber die Zahl der hörbaren "natürlichen" Intervalle ist sehr begrenzt.

Wieviele ich identifizieren kann, hängt stark von den verwendeten Klängen ab.

Der obertonarme Klavierklang ist wenig geeignet; Cembalo ist fast ideal und das Pulsachord noch ein bisschen besser, da bei am Ende zum Schwingen angeregten Saiten, das Obertonspektrum vollständig und gleichmäßig ist. (Clavichord; Chapman Stick; getappte Gitarre; ähnlich ist auch das Spektrum von Akkordeon-zungen)


Nach meinen eigenen, ausgiebigen Hörexperimenten, habe ich eine Liste der musikalisch sinnvollen oder wichtigen Naturintervalle erstellt; normalerweise beschränkt auf den Oktavraum; nur die None und die große Dezime hab ich wegen ihrer besonderen Verschmelzungfähigkeit mit aufgeführt:


2er Intervalle

2/1 (1200ct) Oktav


3er Intervalle

3/2 (702ct)  4/3 (498ct) Quint und Quart

9/8 (204ct) 16/9 (996ct) pythagoräischer Ganzton und Sept

9/4 (1404ct) None


5er Intervalle

5/4 (386ct)  8/5 (814ct) große Terz und kleine Sext

6/5 (316ct)  5/3 (884ct) kleine Terz und große Sext

5/2 (1586ct) Dezime

---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

9/5 (1018ct) 10/9 (182ct) kleiner Ganzton und entsprechende Sept sind harmonisch grenzwertig


7er Intervalle:

7/6 (267ct)  12/7 (933ct) große Subterz bzw. verminderte Terz und übermäßige Sext

8/7 (231ct)  7/4 (969ct) kleine Subterz bzw. übermäßige Sekunde und Natursept


7/5 (583ct)   10/7 (617ct) kleiner und großer Naturtritonus


9/7 (435ct) und 14/9 (765ct) übermäßige Terz und verminderte Sext


11er und 13er Intervalle

11/8 (551ct) Alphorn-fa

13/8 (840ct)

wären die beiden wichtigsten und noch ehesten als harmonischer Klang zu bezeichnenden Intervalle jenseits der 7er - eher noch als 11/4 und 13/4 brauchbar.


Verzerrungen, die Intermodulationen zwischen den Teiltönen bewirken, verbessern die Erkennbarkeit von Naturintervallen; leichte Verzerrungen treten z.B. im Korpus von akkustischen Gitarren oder Geigen auf.

Starke Verzerrungen werden durch übersteuerte Verstärker oder Effektgeräte bewirkt.

Bei extremen Verzerrungen bilden Naturintervalle so etwas wie Inseln von Ordnung in einem sonst chaotischen Tongemisch; da kann man auch 11er und 13er identifizieren, aber musikalisch brauchbar sind die meiner Ansicht nach nicht.


Einzeln grenzwertige Intervalle können in Mehrklängen sehr harmonisch klingen, wenn sie im "richtigen" Zusammenhang verwendet werden... Bei isolierten Klängen sind die Zusammenhänge anhand der Obertonreihe relativ gut nachvollziehbar. Im musikalischen Kontext gibt es zuviele Aspekte und Möglichkeiten, so das der Versuche einer Abhandlung diesen Rahmen sprengen würde.


Rationale Frequenzverhältnisse sind ausschließlich für das harmonische Hören, also gleichzeitig erklingende Töne relevant. Beim melodischen Hören haben wir ein sehr feines Empfinden, ob Töne Teil einer logarithmisch-gleichstufigen Ordnung des Tonraums sind; rationale Zahlenwerte werden historisch bedingt als Näherungen verwendet, sind aber hier irreführend und insofern fehl am Platze.


Ganz wichtiger Aspekt beim harmonischen Hören und typisch für unsere Wahrnehmung und allgemein für ganzheitlich organisierte Systeme: Eine Vielzahl miteinander stimmiger Indizien ist das entscheidende Kriterium für eine Wahrnehmung und wird dann als eindeutig wahrgenommen. Das wird beim harmonische Hören besonders deutlich, wobei ich, als Klavierstimmer, da natürlich einen besonders bewussten Zugang habe.

Mein Gehör ist darauf trainiert eine Vielzahl von Teiltönen gleichzeitig differenziert wahrzunehmen....