Tonskalen

Skalen oder Tonleitern

Das Tapchord stellt uns eine Grundordnung des Tonraumes mit 19 Stufen pro Oktave zur Verfügung.

Den Aspekt der Intonation lassen wir für einen Moment mal ausser acht.

Ich kann jetzt alle 19 Töne in allen Oktav-lagen gleichberechtigt nutzen....

In den meisten Fällen werde ich mich aber dafür entscheiden eine Vorauswahl zu treffen.


Eine naheliegende Vorauswahl wäre z.B. mich auf die sieben weissen Töne zu beschränken.

Mit dieser speziellen Teilmenge des Tonvorrates kann ich mir bereits einen unendlichen Kosmos an Musik erschließen.


Ich kann damit eine erstaunlich Anzahl von Skalen bilden; allgemein bekannt sind heute Dur und Moll, aber sicher werden die meisten Leser auch schon von den Kirchentonarten gehört haben, derer es etliche gibt. Dorisch und Phrygisch wären die bekanntesten Vertreter neben Aeolisch (Moll) und Ionisch (Dur), aber es gibt noch lokrisch und im Prinzip alles mit den Vorsilben hypo- und mixo- .... alles in allem eine erstaunliche Anzahl, denn:


Es sind immer die selben 7 Töne - worin liegt denn nun das eigentliche Wesen einer solchen Skala?


(Die Vielfältigen und teils auch widersprüchlichen Definitionen von Skala, Tonart, Modus etc. sind ein historisch gewachsenes Begriffswirrwarr, das in einer grundlegenden Betrachtung der Ordnung der Tonraumes nur Verwirrung stiftet; ich verwende Skala und Tonleiter synonym, für die Struktur... für das Modell. In dem Moment, wo das Modell aus konkreten Tönen besteht, nenn ich es Tonart... Tonart ist der Überbegriff)


Schauen wir uns also an, wie der Eindruck einer bestimmten Tonart entsteht:

Spiele ich die Tonfolge D C D C D E D_ kann ich danach sehr eindeutig bei jedem Ton eine Spannung fühlen, die sich auf charakteristische Weise zum Ruhepunkt D auflösen will; Man kann diesen Punkt oder eben das (ent-)Spannungserlebnis als Finalis, als Schlusston bezeichnen.


Spiele ich statt dessen D C D C H C D_ ist die Finalis schon weniger klar; einige werden wieder D als Finalis empfinden, andere werden zum Schluss eine Spannung fühlen, die sich nach G, vielleicht auch nach A oder C auflösen will.

Betone ich aber vorher einen dieser vier Töne, wird praktisch jeder Hörer diesen als Finalis oder Bezugston empfinden.


Interessant wie diese eine Tonfolge jeden dieser vier Töne als Finalis bestätigen kann; G und A kommen nicht mal drin vor.

Es ist auch nicht so, dass in mir dieser Bezugston erklänge, während ich die Tonfolge höre; es ist vielmehr so, dass ich bei jedem Ton der Folge eine charakteristische Spannung empfinde; diese bilden ein überschaubar-komplexes Spannungsgefüge, in dem jeder erklingende Ton einen relativen Sinn hat. Der Finalis als Ruhepunkt kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.


Eine Tonart ist also nicht eine Anordnung von Tönen, sondern eine Erwartungshaltung in Form eines komplexen Spannungsgefüges durch die wir Töne als “sinnvoll” wahrnehmen und nicht als beziehungslose Tonhöhen

Jeder als “sinnvoll” wahrgenommene Ton stützt dieses spezielle aktuelle Gefüge, während “unsinnige” Töne der Sache bis zu einem gewissen Grade eine Würze verleihen, darüber hinaus aber dieses Wahrnehmungsgefüge in einen anderen Zustand kippen lassen

Bei populärer Musik findet das oft zyklisch statt z.B. in der Form Strophe-Refrain..........

 

Wir sind in unserer Kultur an ein dinghaftes, materielles Verständnis gewöhnt; wir sehen uns in einer Welt aus primär getrennten Dingen, die dann durch irgendwelche Irgendwasse irgendwie verbunden sind...

Das ist eine in vieler Hinsicht nützliche Modellvorstellung; Verstandesgerecht, aber nicht Verständnis-gerecht.

Der Kosmos im allgemeinen und unsere Welt im besonderen ist ein Ganzes; ein in sich differenzierter und organisierter Tanz von Energie; diese Ordnung ist in vielfacher Hinsicht selbstähnlich oder fraktal; man kann auch von einer mikro- und makrokosmischen Ordnung sprechen, wobei sich diese Kosmen ähnlich einer Holografie durchdringen und überschneiden.

Nassim Haramein verwendet den Begriff holofraktal und kommt einem wirklichen Verständnis m.E. schon recht nah...

Man findet dann auf allen Ebenen des Seins die selben Prinzipien am Werke - das eine Tao im Gegensatz zu den "zehntausend Dingen" in denen die Welt in der Wahrnehmung des Verstandes in Erscheinung tritt.



EineTonart ist ein einfaches Ganzes – ein Kosmos; ein komplexes, aber überschaubares Spannungsgefüge; pure Relativität; nichts als Bezug auf Bezug auf Bezug – genau wie die Welt auch.

Ich nehme mit diesem Spannungsgefüge wahr, innerhalb dieses Spannungsgefüges ist “Sinn” und nur da – er ist nicht in den Frequenzen die mein Ohr treffen; er ist in dem, was aus Frequenzen Töne macht.

Ich nehme mit diesem oder durch dieses Spannungsgefüge wahr und was ich wahrnehme schafft, bestätigt oder verwirrt dieses Spannungsgefüge.

Verschiedene Spannungsgefüge schließen einander aus - entweder ich nehme dorisch wahr, oder aeolisch, aber nicht etwas dazwischen - die Wahrnehmung springt oder kippt.

Also nochmal: dieses Spannungsgefüge ist eine komplexe Erwartungshaltung, die durch die erklingenden Töne meistenteils besätigt wird - ein und dieselbe Tonfolge kann genauso gut die dorische wie die ionische Erwartung bestätigen.


Um eine einmal etablierte Erwartungshaltung zu "erschüttern" muss ich also schon mit einigem Nachdruck verunsichern, damit "das System" in einen anderen Zustand kippen kann.


neben Moll, Dur und den bekannten Modi gibt es auch so etwas wie eine diffuse Diatonik; es gibt eine auf 1ter, 4ter und 5ter Stufe beruhende Ordnung, aber schon durch reine Wiederholung kann ich statt 1-4-5 auch eine fast beliebige andere Ordnung etablieren. Auch hier findet auf lange Sicht und viele Menschen gesehen ein ähnlicher selbst-stabilisierender Vorgang statt: die häufiger verwendeten Ordnungen sind geläufiger, lassen sich dadurch leichter in der Wahrnehmung etablieren und werden häufiger verwendet... Die ganze Natur besteht im Grunde ihres Wesens aus solchen selbststablisierenden Kreisprozessen.


In der Musik hat das viele Ebenen - so bilden z.B. bestimmte Muster von Tonschritten und Tonsprüngen ebenfalls Erwartungshaltungen - im Einklang und wechselseitiger Bestätigung mit Tonart, Rhythmus und... und und.

Die Veränderung dieser Muster kann ebenfalls wieder Muster bilden - das ist damit ein solches "holofraktales" Abbild der einen ganzen Wirklichkeit und der vielen Wahrnehmungs-wirklichkeiten.


Das ist ein wesentlicher Aspekt von Wahrnehmung selber - ohne diese Erwartungs-haltungen-spannungsgefüge macht kein Ton Sinn, macht kein Rhythmus Sinn - ohne das können wir gar nicht wahrnehmen - selbst die Wahrnehmung von Chaos oder Rauschen setzt schon ein solches "Sinngefüge" voraus - in Umkehrung der Realität sprechen wir in unserer Kultur von "Interpretation" - was aber einen absoluten und äusseren Sinn im Rahmen der fundamentalen Getrenntheit der Dinge impliziert.